Was die Fehler bei Tesla angeht, so muss man allerdings auch sagen, dass die die wirklich hinterher auch beseitigen, wenn man dies denn will und das Auto zur Not auch komplett zurück nehmen. Das machen andere Firmen nicht.
Tesla liefert wissentlich Model 3 mit Rissen aus: Gutachten zieht krasses Fazit
Ein deutscher Tesla-Kunde kauft sich ein 54.000 Euro teures Model 3 und entdeckt kurz danach Risse an der tragenden Bodenstruktur. Doch der Hersteller wiegelt ab - es wären nur kosmetische Mängel.
Ein gerichtliches Gutachten kommt zu einem ganz anderen Schluss: So fällt der Wagen durch den TÜV! EFAHRER.com hat die ganze Geschichte.
Als Gerd Stocker (Name von der Redaktion geändert) sein neues Model 3 LR im Februar 2021 in Empfang nimmt, ahnt er noch nicht, was für ein Riesenärger auf ihn zukommt. Im Grunde ist der 34-Jährige mit seinem neuen E-Auto made in USA zufrieden - bis es zum ersten Reifenwechsel im Frühjahr 2021 kam. Denn als der Tesla auf der Hebebühne liegt, offenbarte sich von unten ein gravierender Mangel. Der Ingenieur traut seinen Augen nicht, als er den Unterboden betrachtet: Zu sehen sind deutliche Dellen und sogar Rissen in der Alulegierung. Was war passiert?
Als Stocker nachforscht, wird schnell klar, dass er nicht der einzige Betroffene ist: Derartige Dellen tauchen so regelmäßig neben drei der vier Aufhängungen für den Unterboden samt Akku auf, sodass als Ursache nur ein Mangel in der US-Produktion in Fremont in Frage kommt. Insiderberichten zufolge soll ein Roboter in der Produktion für die Beschädigungen verantwortlich sein.
Nur ein paar Dellen und kleine Risse im Unterboden - das klingt zunächst nach deutscher Pedanterie. Doch das Problem ist durchaus prekär. Die Wagenheberaufnahmen sind Teil des Akkugehäuses, und in die Risse der Alulegierung kann gerade im Winter Nässe und Salz gelangen. Zudem hat der Tesla-Kunde große Bedenken in puncto Stabilität, sein Model 3 mit diesem Schaden beim nächsten Reifenwechsel auf eine Hebebühne zu hieven. Und was ist im Fall eines Unfalls? Eine Bergung dürfte problematisch werden, schließlich darf die Feuerwehr das Fahrzeug nur an den Wagenheberaufnahmen anheben.
"Da passiert nichts, das passt schon so."
Verständlich, dass Stocker also sein 53.000 Euro teures Model 3 nachbessern lassen möchtee. Er wendet sich im Juni 2021 an das Tesla-Servicecenter Berlin. Was dort passiert, entspricht - gelinde gesagt - kaum seinen Vorstellungen. Mit etwas Lack bemüht man sich, den Schaden zu beheben, was freilich so nicht möglich ist. Der Schlüssel wird dem Ingenieur übergeben mit den lapidaren Worten: "Da passiert nichts, das passt schon so." Kurzum: Tesla sieht diese Dellen und Risse in der tragenden Struktur als kosmetischer Mangel an. Kein Einzelfall, erst
kürzlich berichtete EFAHRER.com über ein Model 3 mit über 20 Mängeln im Auslieferungszustand, die Tesla seit über einem Jahr weigert, zu beheben.
Der Tesla-Kunde ist schwer enttäuscht. Mit den Mängeln an der tragenden Unterbodenstruktur, die eben auch den Akku beherbergt, fühlt er sich so unwohl, dass er nun eine Neulieferung anstrebt - das Vertrauen, dass Tesla hier ordentlich nachbessert, ist längst verloren. In einem Schreiben Anfang Juli fordert Stocker Tesla auf, sein Mangel-Model 3 bis Ende Juli gegen einen mindestens gleichwertigen einwandfreien Wagen umzutauschen. Doch Tesla lehnte ab. Grund: Die Beschädigungen seien kein Mangel, die Sicherheit sowie Zuverlässigkeit des Fahrzeugs seien nicht beeinträchtigt. Es läge kein Garantiefall vor.
Doch eigentlich wäre Tesla durchaus verpflichtet, diese Fehler zu beheben. Schließlich gewährt der US-Hersteller zusätzlich zur Gewährleistung in seiner beschränkten Neuwagengarantie sämtliche Reparatur- oder Austauschmaßnahmen, "
die notwendig sind, um Material- oder Herstellungsfehler an allen von Tesla hergestellten oder gelieferten Teilen zu beheben, die unter normalen Nutzungsbedingungen in einem Zeitraum von 4 Jahren oder nach 80.000 Kilometer auftreten, je nachdem, was zuerst eintritt."
Rechnungsvermerk verrät Schlamassel in der Produktion
Dem 34-Jährigen wird es zu bunt, er wendet sich nach dieser Absage an den
Teslaanwalt, wie sich Rechtsanwalt Dr. Christoph Lindner selbst nennt. Seine Kanzlei im bayerischen Rosenheim hilft Betroffenen bei Problemen mit Elektrofahrzeugen aller Hersteller, bei Verkehrsunfällen mit Elektrofahrzeugen und Auseinandersetzungen rund um die BAFA-Förderung. Dabei landen viele Fälle frustrierter Tesla-Kunde auf Lindners Schreibtisch. Trotz allem ist der 38-Jährige selbst begeisterter Teslafahrer und seit 2019 mit einem Model S unterwegs.
Bei seinem Besuch in der Kanzlei legt Stocker unter anderem die Nulleurorechnung von der vermeintlichen Nachbesserung vor. Der Anwalt wird stutzig, als er folgenden Vermerk von Tesla dort liest: "Der Werksprozess wurde am 26. April 2021 verbessert." Lindner sieht dies als Eingeständnis an, dass die Beschädigung im Werk entstanden sind und offensichtlich auch vor Auslieferung bekannt waren - für ihn ein Skandal.
Kunde soll selbst Mängelbehebung zahlen
Der Jurist fordert Tesla nun zunächst außergerichtlich zur Neulieferung, also zum Umtausch auf. Doch die Reaktion von Tesla ist alles andere als kundenfreundlich: Die kosmetischen Beeinträchtigungen seien auf der Fahrzeugunterseite und damit unerheblich. Zur Behebung müsse man die gesamte Batterieeinheit austauschen, was man gern tun können - allerdings nur auf Kosten von Stocker selbst!
Um die Sache zu klären, reicht Lindner im Auftrag seines Mandanten im September 2021 einen Antrag auf Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens am Landgericht München I ein. Das Landgericht München I beauftragt daraufhin einen unabhängigen Gutachter der DEKRA, das Model 3 auf Mängel abzuklopfen. Stocker bringt im April 2022 seinen Sorgen-Tesla zum Sachverständigen, der ihn auf einer Hebebühne ausgiebig untersucht.
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Kanzlei Dr. Lindner Rechtsanwälte[/COLOR][COLOR=rgba(29,31,61,.6)]
Die Mängel: Deutliche Risse bei den drei Wagenheber-Aufnahmepunkten Vorne rechts und links sowie hinten rechts[/COLOR]
DEKRA-Gutachter prognostiziert: Keine Plakette bei der nächsten HU
Ende Mai 2022 erhält das Landgericht das DEKRA-Gutachten, das EFAHRER.com vorliegt. Auf 24 DIN-A4-Seiten bestätigt der Gutachter anhand von 30 Fotos ebenjene Mängel an und kommt in der Zusammenfassung zum Schluss: "Die Behauptung des Antragsstellers, dass (...) drei von vier Wagenheberaufnahmen insbesondere durch Risse beschädigt sind, ist (...) zu bestätigen." Immerhin bewertet er die Gefährdungspotentiale bei der normalen Benutzung des Fahrzeugs als "eher gering". Ob das Korrosionsrisiko mit den Rissen steigt, will der Gutachter nicht bewerten. Allerdings gelangt er zu der Bewertung, dass "im Falle eines Anhebens des Fahrzeuges die werksseitig vorgegebene, konstruktive Stabilität und Intgrität des Akkugehäuses nicht mehr vollständig gegeben" ist.
Am Ende kommt der DEKRA-Gutachter zu einem erschütternden Fazit: "
Aufgrund der festgestellten Beschädigungen am Hebeprofil des Akkugehäuses kann im Rahmen der Hauptuntersuchung nach §29 StVZO eine Prüfplakette an dem hier vorgestellten Fahrzeug nicht zugeteilt werden." Kurzum: Das 54.000 Euro teure Model 3 mit seinen 27.000 Kilometern erhält in 2024 keinen TÜV, sollte der Schaden nicht repariert sein. Der Gutachter kommt zum Schluss, dass zur Behebung der festgestellten Beschädigungen das HV-Batteriemodul erneuert werden muss. Voraussichtliche Reparaturkosten: knapp 15.000 Euro.
Mit diesem Gutachten ist klar: Der Tesla-Kunde hat sein Neufahrzeug zu Recht beanstandet. Deshalb strebt nun Anwalt Lindner ein Neulieferungsbegehren mit Klageverfahren an. Ein Rücktritt vom Kauf wäre für den Tesla-Käufer nur das Äußerste. Er hofft immer noch auf ein mangelfreies Model 3 - diesmal jedoch aus chinesischer Produktion und nicht aus den USA.
Wie geht es nun weiter? Tesla hat nun Gelegenheit, zum Gutachten Stellung zu nehmen. Ein Urteil wird frühestens Ende des Jahres erwartet. Doch wenn das Gericht Tesla dazu tatsächlich verdonnert, einen Neuwagen Stocker zu liefern, dann kann dies zu einem Präzedenzfall für die vielen tausend Model 3 werden, die damals von dem wohl fehlerhaft eingestellten Roboter beschädigt wurden. Und damit wäre Tesla zu einer gigantischen Umtauschaktion gezwungen.