Neuerdings können an Tesla-Ladesäulen auch Fahrzeuge anderer Marken geladen werden. Die Öffnung für Fremdfabrikate irritiert Autoexperten und sogar Tesla-Manager.
von Stefan Hajek und Martin Seiwert
Deutsche Tesla-Fahrer dürften sich in diesen Tagen beim Laden am Supercharger verwundert die Augen reiben. Denn neuerdings können die Schnelllader von Tesla nicht mehr nur von Tesla-Fahrer genutzt werden. An 16 Ladestationen in Deutschland und an weiteren in der Schweiz, in Finnland, Dänemark und Luxemburg bekommen nun auch andere Marken Strom in Hochgeschwindigkeit.
Die Fremdgeher müssen das Laden allerdings über die Tesla-App abrechnen. Bezahlen sie eine monatliche Mitgliedsgebühr, dann reduziert sich der zu zahlende Strompreis. In Frankreich, Spanien, Norwegen, Großbritannien, Schweden, Österreich, Belgien und den Niederlanden läuft dieser Test für die Öffnung der Supercharger für Fremdfabrikate schon länger.
Es sind nicht nur die jüngsten schlagzeilenträchtigen Entscheidungen von Elon Musk wie etwa der beabsichtigte Kauf von Twitter, die bei Tesla-Kunden, Investoren und Mitarbeitern für Stirnrunzeln sorgen. Tesla liegt bei etlichen Produkten – etwa bei dem für den US-Markt enorm wichtigen Pick-up namens Cybertruck, dem elektrischen Lkw Semi und einem schon lange angekündigten Kompaktwagen – weit hinter den von Musk kommunizierten Zeitplänen.
Zudem könnte sich der US-Hersteller bei der Entwicklung des autonomen Fahrens verrannt haben, weil die Entwickler eher einem Dogma von Musk folgen als der Wissenschaft. Das könnte die Marke schwer beschädigen – und Tesla Hunderte Milliarden Dollar Börsenwert kosten.
Die Arroganz eines Superstars
Aber auch Entscheidungen, die weitgehend außerhalb des großen Nachrichtenflusses bleiben, machen immer mehr frühere Tesla-Fans nachdenklich und zuweilen skeptisch. Dazu gehört die Nachricht der Öffnung der Supercharger für Fremdfabrikate. Sie habe viele Tesla-Manager völlig auf dem falschen Fuß erwischt, sagt der Chef eines europäischen Wettbewerbers. „Die haben mir noch wenige Wochen zuvor versichert: ‚Das machen wir nie!’“, sagt er.
Denn mit dem firmeneigenen Ladenetz gibt Tesla ohne Not einen seiner größten Wettbewerbsvorteile aus der Hand. Mehr noch als um die führende Batterietechnik und die hocheffizienten Elektromotoren beneidet die Konkurrenz Tesla um das Schnellladenetz. „Tesla hat viel früher als andere Autokonzerne verstanden, dass es in der E-Mobilität nicht darum geht, nur Autos zu verkaufen, sondern um eine Teilhabe am System“, sagt Stefan Bratzel, Leiter des Center of Automotive Management an der FH Bergisch Gladbach. „Den systemischen Zusammenhang zwischen Batteriegröße, Effizienz, Reichweite und Ladenetz hatten die anderen lange nicht verstanden.“
Der Versuch der drei deutschen Autobauer etwa, zusammen mit Ford und Hyundai den Schnellladesäulenbetreiber Ionity aufzubauen, darf inzwischen als gescheitert gelten. Ionity war zu lange unterfinanziert, während sich Tesla in aller Ruhe die Filetliegenschaften entlang der Hauptverkehrsachsen Westeuropas unter den Nagel riss. Folge: Kein Hersteller konnte seinen Kunden bisher glaubhaft versprechen, dass sie ohne Probleme jede Langstrecke über mehrere hundert Kilometer bewältigen könnten. Tesla schon.
Dreht Tesla die Ladesäulen-Öffnung wieder zurück?
„Offenbar ist man in der Tesla-Zentrale in Texas nun der Ansicht, dass der Vorsprung gegenüber den Konkurrenten so groß ist, dass man den Wettbewerbsvorteil der Anfangsjahre nicht mehr braucht“, glaubt Georg Konjovic. Der Münchner berät Unternehmen beim Aufbau ihrer eigenen Schnelllade-Infrastruktur. Tesla habe Ionity und vielen anderen kleinen Anbietern „ja live und in Farbe beim Scheitern zugeschaut“, sagt er. „Da hat sich offenbar die Mentalität breitgemacht: das brauchen wir nicht mehr, die anderen kriegen’s eh nicht hin.“
Die Nachricht von der Öffnung habe auch die Forscher in seinem Institut aufhorchen lassen, sagt Auto-Professor Bratzel. „Denn das ist schon ein immenser Wettbewerbsvorteil. Es geht ja nicht nur um die Anzahl der Ladepunkte, sondern um deren Verlässlichkeit, und da ist Tesla einfach besser.“ Den Vorsprung nun ohne Not aufzugeben, sei ein „erstaunlicher Move“, findet Bratzel.
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