Verkehrswende:Generation Klima fährt Auto
Junge Menschen besäßen kein Auto mehr, heißt es oft, der Führerschein sei out, Carsharing im Trend. Aktuelle Zahlen zeigen: Die Gen Z ist mehr Boomer, als ihr lieb ist.
Von
Haiko Tobias Prengel
10. Februar 2024, 15:03 Uhr
Generation Klima fährt Auto – Seite 1
Bis zur Volljährigkeit muss heute keiner mehr warten, um endlich Teil der automobilen Gesellschaft zu werden. Für die Cityflitzer
Opel Rocks-e oder Renault Twizy dürfen schon 15-Jährige den Führerschein machen. Zwar herrscht auf den Straßen der Großstädte schon lange mehr Stopp als Go. Doch auch die vermeintlich so umweltbewusste Generation, die Fridays for Future hervorgebracht hat, träumt mehrheitlich vom ersten eigenen Auto.
Vor ein paar Jahren noch war der Tenor in den Medien ein anderer. "Für junge Deutsche ist das Auto kein Statussymbol mehr", solche Schlagzeilen waren
häufig zu lesen.
https://www.businessinsider.de/tech...-millenials-statussymbol-umwelt-klima-2019-9/
Aktuelle Zahlen jedoch stehen dem entgegen. In einer
weltweiten Studie des internationalen Automobilclub-Dachverbands FIA erklärten neulich 56 Prozent der Befragten zwischen 16 und 25 Jahren, dass der Besitz eines eigenen Autos ein wichtiges Lebensziel sei. In Deutschland immerhin 45 Prozent. Carsharing oder Mietwagen indes sind nur für jeden Vierten eine Option. Dabei galt Carsharing in vielen Städten als große Hoffnung bei der angestrebten Verkehrswende. Nun kann man sich fragen, ob Erhebungen der Autolobby in dieser Sache die vertrauenswürdigste Quelle sind. Aber andere Zahlen weisen in eine ähnliche Richtung.
Zwar schien der eigene Wagen für junge Deutsche zwischenzeitlich an Bedeutung zu verlieren. So sank die
Autodichte, also die Zahl der Autos pro 1.000 Personen, bei den 18- bis 24-Jährigen vom Höchststand 272 im Jahr 2000 auf 152 in den Jahren 2008 und 2009. Das zeigen Daten des Kraftfahrtbundesamts. Doch das lag nicht daran, dass die jungen Leute dem Auto abschworen. "Vielmehr hatte dieser Rückgang mit sozioökonomischen Faktoren zu tun", sagt Tobias Kuhnimhof, Mobilitätsforscher an der RWTH Aachen.
"Es gab nie eine Trendwende"
So seien damals viele junge Leute zum Studieren in die Großstädte gezogen. Die Familiengründung, oft ein Grund für die Anschaffung eines Autos, verschob sich auf später. Zeitgleich hätten viele Hochschulen Semestertickets für den ÖPNV eingeführt, sagt Kuhnimhof. Dazu kam, dass infolge der Finanzkrise von 2007/2008 viele junge Menschen aus Südeuropa – häufig ohne Führerschein und eigenes Auto – nach Deutschland zogen. Das wiederholte sich 2015/2016, als zahlreiche Flüchtlinge ins Land kamen.
Damals, sagt Kuhnimhof, seien aus diesen Zahlen die völlig falschen Schlüsse gezogen worden. "Tatsächlich gab es aber nie eine Trendwende mit größeren Auswirkungen." Seit Jahren steigt der Autofahreranteil wieder an. 2022 lag der Wert bei einem neuen Hoch von 188 Autos pro 1.000 Menschen bei den 18- bis 24-Jährigen.
Auch die Zahl der ausgegebenen Führerscheine ist in Deutschland in den vergangenen drei Jahren gestiegen, heißt es vom Fahrlehrerverband DVPI. Klimakrise, Homeoffice und hohen Spritpreisen zum Trotz: Für 88 Prozent ist der eigene Führerschein wichtig für das tägliche Leben,
ermittelte der TÜV-Verband 2022 in einer repräsentativen Befragung. Das gelte auch für die junge Generation: "Für 76 Prozent der 16- bis 29-jährigen Führerscheinbesitzerinnen ist die Fahrerlaubnis für das tägliche Leben wichtig oder sehr wichtig."
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Jürgen Schielein kann das nur bestätigen. Mit seinem Unternehmen betreibt er acht Fahrschulen im Großraum Nürnberg. Allenfalls in den Großstädten fingen die jungen Leute heutzutage etwas später mit dem Führerschein an, sagt Schielein. Auf dem Land habe sich das Einstiegsalter nicht geändert. Dort bleibe das eigene Auto unverzichtbar. Zwar werde von jungen Fahrschülern
verstärkt nach Elektroautos für die Fahrausbildung gefragt, fünf hat er schon für seine Fahrschulen angeschafft. Grundsätzlich nehme die Automobilität aber keineswegs ab, sagt Schielein.
Familie und Gesellschaft prägen die Mobilität
Aus Sicht von Bildungsexperten liegt das auch daran, dass in den meisten Haushalten und Familien weiter das Auto dominiert. Ob Bobbycars, Carrera-Bahn oder Rennwagenvideospiele:
Schon im frühen Kindesalter würden die Menschen auf das Auto als das Fortbewegungsmittel Nummer eins geeicht, sagt Anika Meenken, Sprecherin für Radverkehr und Mobilitätsbildung beim ökologischen Verkehrsclub VCD.
Lastenrad oder Zweitonnen-SUV? Für welche Verkehrsmittel sich Erwachsene entscheiden, habe viel mit der Sozialisierung in den Kinder- und Jugendjahren zu tun, sagt Meenken. Wissenschaftliche Studien wiesen zum einen auf die Vorbildfunktion der Eltern hin. "In der Kindheit wird das Fundament für das spätere und lebenslange Mobilitätsverhalten gelegt", sagt die VCD-Sprecherin. Eltern könnten ihrem Kind vorleben, dass es auch ohne eigenes Auto gehe. Doch der Einfluss der Gesellschaft sei nicht zu unterschätzen. "Wenn von allen anderen Seiten das Auto dominiert, ist es fast unmöglich, das nicht als unveränderliche Realität zu akzeptieren", sagt Meenken.
Untersuchungen bescheinigen jungen Menschen zwar ein erhöhtes Bewusstsein für Klima- und Umweltthemen. So erklärten in der Umfrage des FIA-Verbands 44 Prozent der Befragten, nachhaltigere Transportmittel als das Auto zu bevorzugen. Doch in der Realität scheitert dieser Anspruch allzu oft – nicht nur an der eigenen Bequemlichkeit, sondern auch an gleichwertigen Alternativen. "Das Auto ist als Mobilitätsermöglicher einfach unschlagbar, zumindest aus individueller Sicht", sagt Forscher Kuhnimhof.
Politik steuert nicht ernsthaft um
Verantwortlich seien dafür letztlich Politik und Verwaltung,
die bei der Verkehrsplanung oft zu zaghaft agierten. Aus dem zeitweise rückläufigen Autobesitz seien die falschen Schlussfolgerungen gezogen worden. "Es ist diese verbreitete Sichtweise, dass sich unsere Verkehrsprobleme schon von selbst lösen werden, weil sich die jungen Leute angeblich nicht mehr fürs Auto interessierten", sagt Kuhnimhof.
Ja, auch neue Radwege seien vielerorts gebaut worden, in den Städten stiegen Heranwachsende gerne auf E-Roller. "Doch das sind absolute Nischen, die dem Auto als Fortbewegungsmittel Nummer Eins nichts anhaben können", sagt der Forscher.
Überall dort, wo der öffentliche Nahverkehr ausgebaut werde, stiegen die Menschen auch vom Auto auf andere Verkehrsmittel um, sagt Kuhnimhof. Diese Alternativen müssen aber nicht nur vorhanden und zuverlässig sein, sondern auch preisgünstig. Doch Bahn- und Busfahren ist vielerorts teurer geworden. Zumindest,
wenn man sich nicht auf ein Deutschlandticket festlegen will. Autofahren bleibt dagegen relativ günstig – auch weil es weiter mit Milliarden Euro subventioniert wird,
etwa durch die Pendlerpauschale und die steuerlichen Vorteile von Dienstwagen. Die Kfz-Steuer für ältere Verbrenner wird bislang ebenso wenig angetastet.
Moment, sind die Spritpreise nicht auf Rekordhöhe? "Es mag vielen nicht bewusst sein", sagt Mobilitätsforscher Kuhnimhof. Doch wenn man die Einkommenssteigerungen einbeziehe und dass Motoren
heute weniger Sprit verbrauchen als früher, seien die Deutschen noch nie so günstig Auto gefahren. Und aufs Geld achten müssen junge Menschen bekanntlich häufig.