Grüner Wasserstoff ist zum ersten Mal günstiger als Wasserstoff aus Erdgas
Eigentlich sollte grüner Wasserstoff aus erneuerbaren Energien erst in ein paar Jahren wettbewerbsfähig sein. Doch der Ukrainekrieg beschleunigt den Wandel deutlich.
Weil Wasserstoff aus erneuerbaren Energien mehr als doppelt so teuer war wie Wasserstoff aus fossilem Erdgas, haben Experten erst in fünf bis zehn Jahren mit einem Durchbruch für die Zukunftstechnologie gerechnet. Seit der Gaspreis auf ein neues Rekordniveau gestiegen ist, rechnet sich nachhaltiger Wasserstoff jetzt allerdings deutlich schneller als gedacht – und könnte den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft damit deutlich beschleunigen.
„Der Wandel ist schon da. Überall da, wo die Produktion von grünem Strom günstig ist, zum Beispiel mit Wasserkraft in Skandinavien oder mit viel Wind und Sonne in Namibia, sind Power-to-X-Produkte wie grüner Ammoniak schon jetzt billiger als die fossile Alternative“, erklärt Wasserstoffexperte Michael Sterner von der TU Regensburg.
Analysten von Bloomberg New Energy Finance (BNEF) gehen sogar noch einen Schritt weiter: Laut jüngsten Berechnungen der Experten ist grüner Wasserstoff in Teilen Europas, dem Mittleren Osten und Afrika schon jetzt günstiger als fossiler Wasserstoff aus Erdgas. Für ein Kilogramm grauen Wasserstoff zahlt man in diesen Regionen so laut BNEF aktuell 6,71 US-Dollar, verglichen mit 4,84 bis 6,68 Dollar das Kilogramm für grünen Wasserstoff.
Erneuerbare Energien: Grüner Wasserstoff günstiger als grauer
Das liegt vor allem am Gaspreis. Der klettert schon seit Ende vergangenen Jahres in die Höhe. Mit
Ausbruch des Kriegs zwischen Russland und der Ukraine schoss der Preis zwischenzeitlich noch einmal deutlich nach oben. Aktuell liegt er mit knapp 100 Euro die Megawattstunde (MWh) immer noch mehr als sechsmal so hoch wie vor einem Jahr.
Vor einem Jahr waren wir für eine Tonne grauen Ammoniak noch bei 350 Euro, wo grüner Ammoniak zwischen 600 bis 700 Euro kostete. Jetzt, wo sich der Preis für Erdgas vervielfacht hat, hat sich das gedreht“, rechnet Sterner vor.
Auch Unternehmen wie der Elektrolyse-Hersteller Sunfire aus Dresden sehen eine deutliche Preiswende „Mit einem Mal kann es für die Industrie wirtschaftlicher sein, auf grünen Wasserstoff zurückzugreifen als auf grauen. Diese Entwicklung hätte sonst Jahre gedauert“, sagt Sunfire-CEO Nils Aldag.
Grüner Wasserstoff ist ein wichtiger Baustein für das Gelingen der Energiewende. Hergestellt wird er mithilfe des Elektrolyseverfahrens aus erneuerbarem Strom, zum Beispiel aus Wind und Sonne. Dabei wird Wasser mithilfe von Strom in seine Bestandteile Sauerstoff und Wasserstoff zerlegt.
Wird für die Elektrolyse Ökostrom verwendet, ist das Endprodukt entsprechend grün. Den größten Bedarf sehen Experten derzeit in Industrie, Schiffsverkehr und Luftfahrt. Überall dort, wo der Einsatz einer Batterie teurer oder nur schwer realisierbar ist.
Den kommenden Milliardenmarkt haben mittlerweile auch Industriegrößen wie
Siemens Energy, Linde oder
Air Liquide erkannt und bauen ihre Elektrolysefertigungen massiv aus. Erst vor Kurzem kündigte
Thyssen-Krupp an,
seine Elektrolyse-Sparte unter dem Namen Nucera an die Börse zu bringen. Die Europäische Union erwartet, dass sich die Elektrolysekapazitäten hierzulande bis 2030 von derzeit 1000 Megawatt auf 40.000 Megawatt vervielfachen werden.
Mit der neuen Wirtschaftlichkeit stellen Wasserstoffunternehmen eine deutlich gestiegene Nachfrage fest. „Gerade im maritimen Bereich sehen wir, dass die Projekte jetzt schneller vorangehen, weil die Abnahme steigt“, berichtet Cyril Dufau-Sansot, CEO und Co-Gründer von Hy2Gen.
Das Wiesbadener Start-up plant und betreibt Projekte mit grünem Wasserstoff und hat dabei einen speziellen
Fokus auf die Schifffahrt gelegt. Dufau-Sansot ist überzeugt, dass die hohen Gaspreise den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft beschleunigen, „weil er sich dadurch schneller rechnet“. Auch Sunfire berichtet aufgrund der aktuellen Situation von steigender Nachfrage an seinen Elektrolyseuren.
Erst vor Kurzem verkündete der dänische Reedereikonzern
Maersk den Plan, gemeinsam mit fünf weiteren Unternehmen – darunter
Air Liquide – in Singapur Asiens erste grüne E-Methanol-Anlage errichten zu wollen. In der Anlage, die bis Ende 2022 errichtet sein soll, wolle man Kohlendioxid in grünes E-Methanol umwandeln. Als Mindestproduktionskapazität peilt die Reederei 50.000 Tonnen pro Jahr an. Hergestellt wird grünes Methanol aus grünem Wasserstoff.
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„Es tut sich gerade wirklich etwas. Teurer ist grüner Wasserstoff gerade nur noch in Deutschland“, so Sterner. Im Gegensatz zu anderen Ländern besteht die Bundesregierung für Elektrolyseprojekte in
Deutschland auf dem Prinzip der Zusätzlichkeit.
Das bedeutet, dass grüner Wasserstoff nur aus Wind- und Solarparks gewonnen werden darf, die extra dafür zusätzlich gebaut werden, was sich auf die Kosten für grünen Wasserstoff auswirkt. „Und hier hängt es wieder an den oft jahrelang dauernden Genehmigungsverfahren der Kommunen“, kritisiert der studierte Ingenieur.
In seinem neuen Osterpaket hat Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) das Ziel für Elektrolysekapazitäten in Deutschland noch einmal deutlich angehoben. Bis 2030 sollen 10.000 Megawatt Projekte entstehen. Zwar sind zahlreiche Großprojekte in Planung. Angesichts von aktuell gerade mal 60 Megawatt installierter Kapazität, klingt das Ziel von 9540 MW innerhalb der nächsten siebeneinhalb Jahre jedoch sehr ambitioniert.
https://www.handelsblatt.com/untern...iger-als-wasserstoff-aus-erdgas/28251636.html
Mehr: Aufbau der Infrastruktur stockt: Streit über das deutsche Wasserstoffnetz