Da das Thema ja auch weiterhin nicht vom Tisch ist, hier ein meiner Meinung (und Erfahrung) recht gut recherchierter Artikel aus der ZEIT 02/2023:
Jetzt muss sich das Blatt wenden
Raus aus Atomkraft, raus aus Kohle:
Unternehmer und Manager bangen um ihre Firmen , weil die Energiewende kaum vorankommt. Die Regierung sagt:
2030 gibt es 80 Prozent grünen Strom. Kann das klappen?
VON MARC WIDMANN
Der Plan, ersonnen von klugen Köpfen, klang fein, nur kam ihm dummerweise die raue Wirklichkeit dazwischen und sprengte ihn am 26. September vergangenen Jahres. Mit den Nord-Stream-Pipelines explodierte an jenem Tag auch das bisherige Konzept der deutschen Energiewende. Es sah vor, dass das Land schneller als irgendein anderes auf der Welt aus Kern- und Kohlekraft aussteigt und dafür viele Solar- und Windkraftwerke baut, die sauberen und günstigen Strom erzeugen. Die dabei entstehenden Versorgungslücken sollte in den nächsten Jahren russisches Pipelinegas schließen. Eine gewaltige Menge russisches Gas.
Das kommt jetzt nicht mehr, und angesichts des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine ist auf absehbare Zeit auch nicht damit zu rechnen. Damit ist das bisherige Konzept der Energiewende ins Wanken geraten. Denn das verflüssigte Erdgas aus Übersee, das Deutschland nun eilends in Tankern herbeifahren lässt, ist deutlich teurer. Und die massiv gestiegenen Energiepreise bedrohen Branchen wie Chemie und Stahl, die einen Teil des industriellen Kerns der deutschen Wirtschaft bilden. Mit den gegenwärtigen Preisen haben sie gegen die Konkurrenz aus den USA oder China, wo Energie viel günstiger zu haben ist, mittelfristig kaum eine Chance.
Das führt zur Frage: War die deutsche Energiewende eine Schönwetteridee?
Aus den Unternehmen werden gerade die Rufe immer drängender, die eine Wende der Wende fordern. »Bei der Art und Weise, wie da vorgegangen wird, ist Dilettantismus schon ein relativ schwaches Wort«, schimpft der schwäbische Motorsägenhersteller Nikolas Stihl. »Und es sieht nicht so aus, als ob es in absehbarer Zeit wirklich vorwärtsgeht.« Der Chef des Leverkusener Kunststoffkonzerns Covestro und Präsident des Verbands der Chemischen Industrie Markus Steilemann warnt eindringlich vor einer Deindustrialisierung des Landes: »Im Moment sind wir meilenweit von unseren Zielen entfernt.« Und der Münchner Ökonom Hans-Werner Sinn bilanziert: »Die grüne Energiewende ist ein Scherbenhaufen.« Deutschland müsse sich von seinen utopischen Zielen verabschieden und wieder in die Atomkraft einsteigen.
Auf der anderen Seite steht ein erstaunlich wohlgemuter grüner Wirtschaftsminister. »Dieses Jahr hat gezeigt, dass wir wirklich vorangekommen sind«, lobte sich Robert Habeck vor wenigen Tagen für den Ökostromausbau selbst. Die Energiewende sei auf einem guten Weg. »Wir sind noch lange nicht durch. Aber wir haben große Gesetze gemacht, etliche große und kleine Stellschrauben gedreht, um Verfahren zu vereinfachen, Bürokratie schrittweise hinter uns zu lassen und schneller zu werden.«
Wegen der langen Planungszeiten werden erst Ende des Jahrzehnts wieder große Windparks ans Netz gehen
Wo steht Deutschland tatsächlich bei diesem Jahrhundertprojekt? Sicher sagen lässt sich: Das Land hat die vergangenen Jahre verschenkt. Wenn es im bisherigen Tempo weitermacht, wird das nichts mit dem Regierungsziel, dass im Jahr 2030 mindestens 80 Prozent des deutschen Stroms aus erneuerbaren Energien kommen, vor allem aus Wind- und Sonnenkraft. Mit der Elektrifizierung von Autos, Heizungen und Industrieanlagen wird der Stromverbrauch deutlich steigen, von heute rund 500 auf geschätzt 750 Milliarden Kilowattstunden im Jahr 2035. Grüne Kraftwerke lieferten im abgelaufenen Jahr 250 Milliarden Kilowattstunden, 2030 sollen es schon 480 Milliarden sein, 2035 dann bis zu 750, also dreimal so viel.
Dem gegenüber steht die triste Gegenwart. Der Ausbau von Windrädern an Land kollabierte seit dem Jahr 2017, von 5,3 Gigawatt neu installierter Leistung im Jahr auf zeitweise nur noch 1,1. Er kam nie mehr richtig in Schwung, auch im abgelaufenen Jahr wurden nur etwas mehr als 500 Windräder mit einer Leistung von gut 2 Gigawatt installiert. Nötig sind dagegen bald 10 Gigawatt jährlich, um die Ziele zu erreichen.
Noch schlechter sieht es bei Windparks auf dem Meer aus, wo der Wind eigentlich verlässlich pfeift. Dort hat Deutschland im Jahr 2021 kein einziges Windrad in Betrieb genommen, im gerade zu Ende gegangenen Jahr waren es vernachlässigbare 0,3 Gigawatt. Und daran wird sich so schnell nichts ändern. Wegen der langen Planungszeiten werden erst Ende des Jahrzehnts wieder große Windparks ans Netz gehen.
Auch bei der Solarenergie ging es lange bergab. Nach dem Jahr 2012 schrumpfte der Ausbau von 7,6 auf zeitweise nur noch 1,5 Gigawatt Leistung. Immerhin: Im abgelaufenen Jahr kamen erstmals wieder gut 7 Gigawatt dazu. Das klingt schön, aber die Zahl soll in den nächsten Jahren auf 22 Gigawatt pro Jahr steigen. Das entspricht ungefähr 157.000 neu installierten Solarmodulen täglich.
Unterm Strich bleibt die bittere Erkenntnis, dass es Deutschland in den Merkel-Jahren richtig vermasselt hat. In der heimischen Solarindustrie gingen rund 100.000 Arbeitsplätze verloren, in der Windbranche mehr als 50.000. Die Kanzlerin setzte zwar den Atomausstieg durch, doch ihre Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP), Sigmar Gabriel (SPD) und Peter Altmaier (CDU) würgten danach den Ausbau der erneuerbaren Energien ab.
Stattdessen gab es Bürokratie. So scheiterte selbst der niedersächsische Umwelt- und Energieminister damit, eine Solaranlage auf das Dach seines Ministeriums zu setzen – der Denkmalschutz war dagegen. Und ein Unternehmer, der südwestlich von Leipzig sieben alte Windräder durch neuere ersetzen will, musste dafür rund 80 Aktenordner mit 70.000 Blatt Papier im Kleinbus zum zuständigen Amt fahren. Sieben Jahre dauert es häufig, bis in Deutschland ein Windrad gebaut wird.
Merkels Minister bremsten nicht nur, weil Windräder bei Anwohnern oft verhasst sind. Sondern vor allem, weil der Ausbau der grünen Kraftwerke die Stromrechnung der Deutschen immer höher steigen ließ. Die Förderung der Anlagen mussten die Bürger bezahlen, über die EEG-Umlage auf den Strompreis. Erst im vergangenen Jahr hat die neue Regierung das System geändert, jetzt fließen die Subventionen aus Steuermitteln.
Wer denkt, Deutschland sei beim Ausbau grüner Kraftwerke schon weit, hat diese Grafiken noch nicht gesehen
ZEIT-GRAFIK/Quelle: AGEE-Stat, BMWK, Bundesnetzagentur, BDEW und Prognos AG